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Streit um Bäume und Thuja-Hecke: Einblicke in ein nachbarschaftliches Rechtsdrama

Entscheid des Bundesgerichts vom 20.05.2020

C.C. und D.C. sind Miteigentümer einer von ihnen bewohnten Liegenschaft in U, Kanton St. Gallen. Westlich ihrer Liegenschaft verläuft ein öffentlicher Weg mit einer Breite von ca. 1.6 Meter. Im Westen daran anschliessend folgt eine Liegenschaft, welche im Miteigentum von A.A. und B.A. steht. Auf der östlichen und südlichen Seite von deren Grundstück befindet sich eine Thuja-Hecke; in der Südostecke steht eine Scheinzypresse (Höhe: 11.2 Meter). Auf dem Grundstück wachsen zudem eine Roteiche (Höhe: 10 Meter) und eine dornenlose Gleditschie (Höhe: 14.75 Meter), die jeweils einen Abstand von 4.9 Metern bzw. 4.1 Metern zur Grenze des Grundstücks von C.C. und D.C. haben.

C.C. und D.C. kämpfen vor Gericht gegen A.A. und B.A. um die Fällung von Bäumen und das Zurückschneiden einer Thuja-Hecke aufgrund von Schattenwurf. Nach einem langwierigen Rechtsstreit entschied das Kreisgericht zugunsten von C.C. und D.C., dass die Bäume gefällt und die Thuja-Hecke auf 1.8 Meter zurückgeschnitten werden sollte. Später, unter der eingereichten Berufung, übertrugen A.A. und B.A. die Liegenschaft auf ihre Söhne. Da die Söhne auf einen Prozesseintritt verzichteten, wies die Berufungsinstanz die Klage mangels Passivlegitimation ab.

Eine erneute Klage von C.C. und D.C. über das Zurückschneiden der Thuja-Hecke auf 1.2 Metern und Fällung der Bäume führte dazu, dass A.A. und B.A. verpflichtet wurden, die Thuja-Hecke auf 3 Metern zurückzuschneiden sowie die dornenlose Gleditschie, die amerikanische Roteiche und die Scheinzypresse zu fällen. zu Auflagen für das Schneiden der Thuja-Hecke und das Fällen von Bäumen. Das Kantonsgericht bestätigte diese Entscheidung, was zu einer Beschwerde von A.A. und B.A. vor dem Bundesgericht führte. A.A. und B.A. streben die Aufhebung des kantonalen Urteils an oder alternativ eine Rückweisung zur erneuten Beurteilung. Die aufschiebende Wirkung bezüglich der Baumentfernung wurde gewährt.

Die eigentliche rechtliche Auseinandersetzung dreht sich um die Frage, ob C.C. und D.C. als Nachbarn im Sinne des Gesetzes gelten und somit berechtigt sind, die Beseitigung bestimmter Pflanzen zu verlangen. Die kantonale Instanz hat die Aktivlegitimation von C.C. und D.C. bejaht, auch wenn die Grundstücke nicht direkt aneinandergrenzen. Dies wird damit begründet, dass der Schutzzweck der Abstandsvorschriften auch in solchen Fällen besteht.

A.A. und B.A. argumentieren, dass C.C. und D.C. zu lange gewartet haben, um ihren Anspruch geltend zu machen, und verweisen auf den Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 2 ZGB). Das st. gallische EG ZGB/SG hingegen kennt keine Verjährungs- oder Verwirkungsfrist; Lehre und Praxis hätten daraus seit je her geschlossen, dass die Beseitigung von Pflanzen im Unterabstand jederzeit verlangt werden könne (anders als im Kanton Aargau, der in der Praxis in Anlehnung an die Frist der ausserordentlichen Ersitzung von 30 Jahren ein verspätetes Geltendmachen von Entfernungsansprüchen im Sinne des Rechtsmissbrauchs annimmt).

Zusammenfassend bestätigt das Kantonsgericht die Aktivlegitimation von C.C. und D.C. und lehnt die Geltendmachung von Verwirkung ab. Es wird festgestellt, dass A.A. und B.A keine rechtlichen Gründe vorbringen konnten, um die Entscheidung anzufechten. Im Kanton St. Gallen gilt der Grundsatz, wonach Rechtsmissbrauch bei langem Tolerieren von Nachbarspflanzen erst bei Vorliegen von besonderen Umständen angenommen wird.

Die Beschwerde vor Bundesgericht wurde abgewiesen.

Bundesgerichtsentscheid vom 20.05.2020

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„Benützungsrecht für Garten“ führte zum Streit

Entscheid des Bundesgerichts vom 30.04.2018

Herr und Frau B. sind Eigentümer einer Liegenschaft. Frau F. ist Eigentümerin der unmittelbar daran angrenzenden Liegenschaft . Auf dem Grundstück von Herrn und Frau B. lastet eine im Grundbuch eingetragene Dienstbarkeit, und zwar ein „Benützungsrecht für Garten“ zu Gunsten der Liegenschaft von Frau F.

Herr und Frau B. klagten gegen Frau F. Sie verlangten, das Gericht solle Frau F. verpflichten, den Garten zu räumen und ihn nur zur Anpflanzung von Gemüse, Kräutern und niedrigen Sträuchern zu nutzen. Das Bezirksgericht wies die Klage ab. Herr und Frau B. gelangten ans Obergericht. Dieses hiess die Klage gut. Damit lag der Ball bei Frau F., die vor Bundesgericht verlangte, die Klage abzuweisen – und scheiterte.

Der Dienstbarkeitsvertrag vom 1. Oktober 1986 umfasst das Benützungsrecht für die Gartenfläche die Anpflanzung von Gemüse, Kräutern, Blumen und niedrigen Sträuchern. Das Aufstellen von Mobilien (Pergola, Tische, Stühle und Grill) wird im Vertrag nicht erwähnt. Nach Auffassung des Obergerichts, dessen Entscheid von Frau F. angefochten wurde, könne es nicht als notorisch gelten, dass ein Garten, in welchem es erlaubt sei, Gemüse, Kräuter usw. anzupflanzen, überdies als Erholungsraum und Aufenthaltsort diene, in welchem das entsprechende Mobiliar aufgestellt werden darf. Aus dem Wortlaut des Vertrags gehe unmissverständlich hervor, dass die Benützung des Gartens auf die Anpflanzung von niedrigen Pflanzen beschränkt sei. Eine über die Gartenpflege hinausgehende Berechtigung zum Verweilen auf der Gartenfläche stehe mit dem Vertragstext nicht im Einklang und müsse deshalb als nicht erlaubt gelten.

Dagegen brachte Frau F. diverse Argumente vor, die das Bundesgericht allesamt verwarf:

Erstens würde das Obergericht ignorieren, dass die Beschwerdegegner gar nicht bestritten hätten, dass die Platzierung von Sitz- und Liegegelegenheiten, Gartentischen, Sonnenschutzeinrichtungen, Spielsachen, Grillgeräten etc. dem Zweck entspreche, welcher der Dienstbarkeit vernünftigerweise zugrunde zu legen sei. Die Feststellung der Vorinstanz, wonach es nicht notorisch sei, dass ein Garten, in welchem es erlaubt sei, Gemüse, Kräuter usw. anzupflanzen, auch als Erholungsraum diene, nehme in keiner Weise Bezug darauf, dass der gegenteilige Sachverhalt im vorliegenden Fall als erstellt zu gelten habe. Indem die Vorinstanz auch die Räumung der Holztreppe verfügt habe, habe sie den Beschwerdegegnern mehr zugesprochen, als diese ursprünglich verlangt hätten. Im Übrigen stelle die Holztreppe den Zugang zum Garten sicher, losgelöst davon, welche Funktionen dieser erfülle.

Weiter steht für Frau F. fest, dass die Dienstbarkeitsfläche bereits seit 1988 stets in der heute zur Diskussion stehenden Weise mit den entsprechenden Mobilien und der Holztreppe als Zugang genutzt wurde, früher auch noch mit einem Sandkasten. Herr und Frau B. hätten diesen Zustand bereits beim Kauf im Oktober 2002zur Kenntnis genommen. Sie hätten nicht gutgläubig auf das Grundbuch vertrauen dürfen, weil sie aufgrund der geschilderten Umstände damit hätten rechnen müssen, dass sich die Dienstbarkeit nicht auf das Recht zur Bepflanzung beschränken, sondern auch das Recht beinhalten würde, den Garten als Erholungsraum und Aufenthaltsort zu nutzen.

Schliesslich macht Frau F. geltend, dass Herr und Frau B. die erweiterte Nutzung des Gartens auch nach dem Erwerb des Grundstücks jahrelang geduldet hätten. Erstmals und einzig mit Schreiben im Jahr 2011 hätten sie den Sitzplatz mit Grill beanstandet und dazu ausdrücklich festgehalten, dass dies solange geduldet werde, als es nicht zu Nachtruhestörungen oder weiteren Beeinträchtigungen ihrer Privatsphäre komme. Damit hätten die Beschwerdegegner den Eindruck erweckt, nicht auf ihrem Recht zu beharren. Dies gelte umso mehr, als der Zustand während achteinhalb Jahren angedauert hatte. Aufgrund jener Erklärung von Herrn und Frau B. sei sie, Frau F. , davon ausgegangen, dass Herr und Frau B. auf ihr Recht verzichtet hätten.

Das Bundesgericht findet klare Worte:

Das Obergericht habe sehr wohl beachtet, dass Frau F. den Garten während vieler Jahre als Erholungsraum benutzt hatte. Auch sei dem Obergericht nicht entgangen, dass Herr und Frau B. beim Erwerb des Grundstücks von dieser Nutzung Kenntnis hatten. Wenn das Obergericht daraus nicht die gleichen Schlüsse wie Frau F. zog, betrifft dies nicht eine vermeintlich willkürliche oder lückenhafte Feststellung des Sachverhalts, sondern Fragen der korrekten Handhabung des Dienstbarkeitsrechts. Dies gilt auch für den Vorwurf, der Räumungsbefehl gehe zu weit. Dieser auferlegt Frau F. eine Verpflichtung, den Garten zu räumen und ihn künftig nur zur Anpflanzung von Gemüse, Kräutern und niedrigen Sträuchern zu nutzen. Welche konkreten Gegenstände und Installationen damit zu entfernen sind, lässt sich dem Dispositiv des vorinstanzlichen Urteils nicht entnehmen. Entsprechend geht auch der Vorwurf ins Leere, das Obergericht würde von Frau F. die Entfernung von Dingen verlangen, die auch für die Nutzung des Gartens zwecks Anpflanzung von Gemüse, Kräutern und niedrigen Sträuchern benötigt würden. Sollten unter den Parteien diesbezügliche Meinungsverschiedenheiten auftreten, wäre darüber allenfalls in einem Erläuterungsverfahren (Art. 334 ZPO) oder im Rahmen der gerichtlichen Vollstreckung (Art. 335 ff. ZPO) zu befinden.

Das Bundesgericht äusserte sich auch zum Vorwurf, dass Herr und Frau B. die Räumung des Gartens verlangen, obwohl sie bei dessen Erwerb um die erweiterte Nutzung wussten, diese jahrelang duldeten und noch im Jahre 2011 erklärten, diese weiterhin zu dulden, sofern es zu keiner Störung der Nachtruhe käme. Das Bundesgericht verweist auf Art. 738 ZGB, wonach für die Ermittlung von Inhalt und Umfang einer Dienstbarkeit eine Stufenordnung gilt. Ausgangspunkt ist der Grundbucheintrag. Soweit sich Rechte und Pflichten aus dem Eintrag deutlich ergeben, ist dieser für den Inhalt der Dienstbarkeit massgebend (Art. 738 Abs. 1 ZGB). Nur wenn sein Wortlaut unklar ist, darf im Rahmen des Eintrags auf den Erwerbsgrund, das heisst den Begründungsakt, zurückgegriffen werden. Ist auch der Erwerbsgrund nicht schlüssig, kann sich der Inhalt der Dienstbarkeit – im Rahmen des Eintrags – aus der Art ergeben, wie sie während längerer Zeit unangefochten und in gutem Glauben ausgeübt worden ist. Ausnahmsweise hat sich das Bundesgericht über diese Grundsätze hinweggesetzt und der so genannt natürlichen Publizität Vorrang vor der grundbuchlichen eingeräumt (vgl. BGE 137 III 145 E. 3.3.3 S. 149, 153 E. 4.2.3). Dem Obergericht ist keine Willkür vorzuwerfen, wenn es eine solche Ausnahmesituation im konkreten Fall verneinte. Ebenso wenig ist es willkürlich, wenn das Obergericht das Verhalten von Herrn und Frau B. nicht so interpretierte, dass sie je damit einverstanden gewesen wären, dass Frau F. den Garten auch als Erholungsraum nutzen könnte. Daran ändert auch nichts, dass Herr und Frau B. im Jahr 2011 in einem Schreiben an Frau F. erklärten, nichts gegen eine solche Nutzung zu haben, solange sie nicht in ihrer Nachtruhe oder Persönlichkeit beeinträchtigt würden. Das Obergericht konnte dieses Schreiben willkürfrei dahingehend interpretieren, dass sie die Nutzung des Gartens als Erholungsraum weiterhin bloss auf Zusehen hin dulden würden, ohne Hand zu einer rechtsgeschäftlichen Ausweitung des Inhalts der Dienstbarkeit zu bieten. Allein dass dieses Schreiben auch anders hätte ausgelegt werden können, begründet keine Willkür.