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Grundlagen

Eigentum oder Besitz?

„Darf der das?“

Wie so häufig im Leben: Es kommt darauf an, wer man ist.

Nein, nicht alle Menschen sind gleich. Es spielt eine Rolle, wer Sie sind und wer Ihr Nachbar ist. Dabei geht es nicht um die Person, sondern um die Stellung, die eine Person im zivilen Recht inne hat.

Im Zivilrecht macht es einen Unterschied, ob man Eigentümer eines Grundstücks ist, oder es nur mietet.

Rechte und Pflichten sind unterschiedlich für Eigentümer und Mieter. Im öffentlichen Recht sieht die Sache wieder anders aus; so gelten z.B. die von den Gemeinden erlassenen Polizeireglemente gegenüber jedermann.

Wenn Sie wissen wollen, ob Sie eine bestimmte Störung hinnehmen müssen, sollten Sie zunächst der Frage nachgehen, wer der Störer ist. Es gibt durchaus unterschiedliche Gründe, weshalb man ein Haus oder eine Wohnung „hat“.

Eigentum ist das umfassende dingliche Herrschaftsrecht. Der Grundeigentümer ist aber verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum des Nachbarn zu enthalten. In der Alltagssprache werden Eigentum und Besitz oft gleichbedeutend verwendet. Für die Juristen ist der Grundeigentümer nur der, welcher im Grundbuch als Eigentümer einer bestimmten Parzelle eingetragen ist.

In der juristischen Sprache beschreibt Besitz demgegenüber „die tatsächliche Gewalt über eine Sache“. Einfaches Beispiel: Wer im Grundbuch als Eigentümer einer Wohnung eingetragen ist und diese selbst bewohnt, ist gleichzeitig Eigentümer und Besitzer. Wer seine Eigentumswohnung vermietet, macht den Mieter zum Besitzer der Wohnung, bleibt aber selber Eigentümer.

Eigentum und Besitz sind im ZGB geregelt. Miete ist ein Vertrag und damit im Obligationenrecht geregelt. Was ein Eigentümer darf (und was nicht), ergibt sich darum nur aus dem ZGB. Was ein Mieter darf (und was nicht), ergibt sich sowohl aus dem ZGB (Besitzer) als auch aus dem Obligationenrecht. Ein Mieter kann nicht die Rechte eines Eigentümers ausüben.

Im Alltag ist diese Unterscheidung relevant, wie folgendes Beispiel zeigt: Eigentümer Ernst hat im Garten seines Einfamilienhauses eine Eiche stehen. Sie ist sein ganzer Stolz, wurde sie doch zu seiner Geburt vor 29 Jahren gepflanzt. Ernst hat eine emotionale Bindung zu diesem Baum, dessen Stamm 4 Meter neben der Grenze aus dem Boden schiesst. Neben Ernst wohnt Marco. Marco mietet das benachbarte Einfamilienhaus. Im Herbst besteht Marcos Garten vor allem aus Laub von Ernsts Eiche. Bei starken Winden brechen oft dicke Äste ab und fallen auf Marcos Seite. Was kann Marco tun? Die Eiche verletzt den Grenzabstand – Marco kann die Entfernung des Baums nicht selber verlangen, weil Grenzabstände zwischen Grundstücken wirken. Das dingliche Recht an Marcos Grundstück steht aber nur dem Vermieter als Eigentümer zu. Nicht Marco, sondern nur sein Vermieter kann eine Verletzung des Grenzabstands geltend machen und die Entfernung der Eiche verlangen. Marco ist aber Besitzer des von ihm bewohnten Hauses. Als solcher kann er eine Klage aus Störung seines Besitzes erheben. Der Richter wird prüfen, ob Marcos Sachherrschaft in einem Mass beeinträchtigt wird, das die Grenzen der vernünftigerweise zu duldenden Einwirkungen übersteigt. Der Richter wird dann entscheiden, ob Marco den Laubfall und die fallenden Äste tolerieren muss oder nicht.

Denkbar sind also folgende Konstellationen:

  • Eigentümer gegen Eigentümer
    • Eigentumsrecht (Art. 641 ff. ZGB)
    • Dienstbarkeitsrecht (Art. 730 ff. ZGB)
    • Nachbarrecht (Art. 679 und Art. 684 ff. ZGB)
    • Besitzesrecht (Art. 919 ff. ZGB)
    • Öffentliches Recht (Baurecht, Polizeirecht, etc.)
  • Eigentümer gegen Mieter-Nachbar bzw. dessen Vermieter
    • Eigentumsrecht (Art. 641 ff. ZGB) gegen den Mieter
    • Nachbarrecht (Art. 679 und Art. 684 ff. ZGB) gegen den Vermieter
    • Öffentliches Recht (Baurecht, Polizeirecht, etc.)
  • Mieter gegen Eigentümer-Nachbar
    • Besitzesrecht (Art. 919 ff. ZGB)
    • Öffentliches Recht (Polizeirecht)
  • Mieter gegen Mieter
    • Mietvertragsrecht (Art. 253 ff. OR)
    • Besitzesrecht (Art. 919 ff. ZGB)
    • Öffentliches Recht (Polizeirecht)